Für Menschen, die mit der D-Mark groß geworden sind, ist es kein Wunder, dass Limburg mehr ist als eine kleine Provinzstadt an der Lahn. Der Limburger Dom zierte schließlich einmal den 1.000-D-Mark-Schein bis er durch die Einführung des Euro durch Brücken, die die Menschen Europas miteinander verbinden sollten, abgelöst wurde. Den Limburger Dom mit sich herum zu tragen, war also etwas Besonderes. Und wer den Limburger Dom erblickte, wenn er den Elzer Berg auf der A3 in Fahrtrichtung Süden bußgeldlos hinter sich gebracht hatte, erfreute sich nicht nur deshalb am Anblick dieser frühgotischen Schönheit, die sich auf dem Felsen erhebt. Limburg, diese kleine Stadt ist immer schon – ohne es zu wollen – irgendwie mit Verheißung und Erfüllung verbunden gewesen.
Wer hätte gedacht, dass diese kleine hessische Stadt als Hort der Unbeugsamkeit wieder in den Fokus der Öffentlichkeit geraten würde. Wer durch die Gassen der schönen wie verschlafenen Altstadt Limburgs flaniert, ahnt zuerst einmal nicht, dass hier der Funke an die Lunte einer Diskussion gelegt wurde, die die Öffentlichkeit schon seit Wochen in Atem hält. Die Symbolkraft des ICE-Bahnhofs Limburg-Süd, der fast auf der Mitte der Schnellfahrtstrecke Köln-Rhein/Main liegt, die das Heilige Köln mit der Finanzmetropole Frankfurt verbindet, ist da ungleich höher, wenn auch nüchterner und schmuckloser. Die erhabene Größe und Unantastbarkeit des dem Drachenkämpfer St. Georg geweihten Domes kontrastiert mit der auf mobile Funktionalität angelegten, optisch unbedeutenden Architektur der Schnellzughaltestelle. Limburg, das könnte die Botschaft dieses Kontrastes sein, steht für den Aufbruch einer Kirche, die die Bürde einer großen Vergangenheit trägt, in die Welt von heute. Die Wucht, mit der der Limburger Funke gezündet hat, lässt darauf schließen, dass die so ausgelöste Diskussion längst überfällig war und ist.
Die Diskussion ist vielschichtig. Es geht längst nicht mehr um die Frage, ob und warum sich ein Bischof eine Residenz für 31 Millionen Euro baut und warum die innerkirchlichen Regeln bei einem Bau dieser finanziellen Größenordnung nicht beachtet wurden. Nebenbei sei bemerkt, dass die Summenzahl zu D-Mark-Zeiten noch viel höher gewesen wäre; manch einer der Verantwortlichen wird da sicher froh sein, dass der Limburger Dom seinen Ehrenplatz des schönen Scheins räumen musste. Nein, im Zentrum stehen mittlerweile wichtige andere Fragen. Es geht um die Frage des Verhältnisses von Kirche und Staat, des Verhältnisses von Volk und Bischöfen bzw. Priestern als deren Mitarbeitern und der Frage, was ein Kleriker überhaupt ist. Letztere ist deshalb bedeutsam, weil in Limburg der Vermögensverwaltungsrat offenkundig mit einem so großen Vertrauensvorschuss an sein Werk gegangen ist, dass ein genaues Hinsehen schon fast als ehrenrührig empfunden wurde. So äußert sich Jochen Riebel als Mitglied des Limburger Vermögensverwaltungsrates in einem Interview der FAZ vom 8. Oktober 2013:
Wäre ich in den Vermögensverwaltungsrat der Mafia in Palermo berufen worden, wäre ich mit der Einstellung hingegangen: Riebel, sei wachsam. Bei jedem Satz, der gesagt wird, musst du aufpassen, dass du nicht beschissen wirst. Wenn ich aber in ein solches Gremium eines Bischofs gehe, dann unterstelle ich nicht, dass dort nicht korrekt gearbeitet wird. Dann gehe ich davon aus, dass sich ein Bischof wie ein Ehrenmann verhält. (Quelle: FAZ, 8.10.2013)
Die gegenwärtige Diskussion ist noch in der Polarphase. Es gibt eigentlich nur zwei Lager, die sich gegenseitig belauern. Die beiden Lager sind gerade nach der päpstlichen Entscheidung, den Bischof von Limburg vorläufig nicht auf seinen Stuhl zurückkehren zu lassen, gut erkennbar. Die einen, die in einer Art christlicher Kindlichkeit auf keinen Fall etwas auf einen bischöfliche Vaterfigur kommen lassen möchten, weil nicht sein kann, was nicht sein darf, jubeln, dass der fragliche Bischof von einem ermutigenden Gespräch mit dem Papst spricht; sie erwarten eine Rückkehr des Episkopen auf die Limburger Kathedra. Die anderen, die ihre Identität in einer fast schon neurotischen Autoritätskritik bilden, auch wenn es gar nicht um die für die eigene Identität relevante Autoritäten geht, jubeln, dass der fragliche Bischof aufgrund des Vertrauensverlustes auf keinen Fall auf seine Kathedra zurückkehren kann. Und dann gibt es noch die, denen der Sturz vom Thron nicht schnell genug gehen kann. Die Sensationsgier verlangt nach immer neuen Schauerlichkeiten.
Für alle Parteien muss die Heilige Schrift als Waffenlager herhalten. Die einen rufen, dass doch der den ersten Stein werfen soll, der ohne Sünde sei (vgl. Johannes 8,7). Mit diesem Argument wird meist ein Stein in die Diskussion geworfen, der sie zum Erliegen bringen soll. Dabei wird meist übersehen, dass das Jesuszitat nicht bildlich gemeint ist. Jesus spricht es angesichts einer real drohenden Steinigung und damit Tötung einer Frau aus. In der gegenwärtigen Diskussion geht es aber nicht nur nicht um die Hinrichtung eines Menschen; dieser Mensch liegt auch nicht am Boden, sondern ist immer noch – und darüber jubeln ja gerade die, die dieses Argument in die Runde werfen – in Amt und Würden.
Die anderen rufen angesichts so viel belegten biblischen Halbwissens aus, man möge doch bitte nicht den Splitter im Auge der anderen sehen und den Balken im eigenen übersehen (vgl. Matthäus 7,3). Aber auch sie sind nicht gefeit vor oberflächlicher Wiedergabe biblischer Zitate, denn es heißt bei Matthäus weiter:
Wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen?, und siehe ein Balken ist in deinem Auge. Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; danach sieh zu, wie du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst. (Matthäus 7,4f)
Jedes biblische Argument will sorgfältig abgewogen werden. Wer immer auch die Bibel als Steinbruch vermeintlich durch die Autorität der Bibel abgesicherter Argumente ins Feld führt, sollte sich die Haltung des Paulus zu eigen machen:
Wir sind jedenfalls nicht wie die vielen anderen, die mit dem Wort Gottes ein Geschäft machen. Wir verkünden es aufrichtig und in Christus, von Gott her und vor Gott. (2 Korinther 2,17)
Die Bibel jedenfalls gebietet eine grundlegende Diskussion. Nach dem Matthäusevangelium gibt Jesus selbst ein Modell der Konfliktbewätligung:
Wenn dein Bruder sündigt, dann geh zu ihm und weise ihn unter vier Augen zurecht. Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder zurückgewonnen. Hört er aber nicht auf dich, dann nimm einen oder zwei Männer mit, denn jede Sache muss durch die Aussage von zwei oder drei Zeugen entschieden werden. Hört er auch auf sie nicht, dann sag es der Gemeinde. Hört er aber auch auf die Gemeinde nicht, dann sei er für dich wie ein Heide oder ein Zöllner. Amen, ich sage euch: Alles, was ihr auf Erden binden werdet, das wird auch im Himmel gebunden sein und alles, was ihr auf Erden lösen werdet, das wird auch im Himmel gelöst sein. (Matthäus 18,15-18)
Die Reihenfolge der bisherigen Auseinandersetzung hat das außer Acht gelassen. Es wurde zuerst in der Öffentlichkeit diskutiert – und wie bei jedem Fußballländerspiel, das 80 Millionen Bundestrainer kennt, wusste auch hier jeder, was zu tun ist. Nun ist man durch den Papst zu den biblischen Ursprüngen zurückgekehrt. Dass es ein Urteil und eine vorhergehende Diskussion geben muss, das ist der Auftrag Jesu selbst. Dazu gehört, dass ab einem bestimmten Punkt diese Diskussion in der Öffentlichkeit der Gemeinde führen ist. Erst wenn alles geklärt ist und erst wenn alle Fakten bekannt sind, kann und muss ein Urteil gefällt werden – ohne Ansehen der Person.
Die Zeit ist jetzt reif für eine gründliche Betrachtung dessen, was wirklich geschehen ist. Die Zeit ist reif, die innerkirchlichen Verhältnisse zu überprüfen. Wenn sich der Pulverdampf des Limburger Feuerwerks verzogen haben wird, wird man mit Bedacht und Verstand die anstehenden Fragen bearbeiten können. Vor allem muss die ekklesiale Schizophrenie einer Trennung des einen Volkes des einen Gottes in Auserwählte und Heilsbedürftige angegangen werden. Wenn gestandene Männer einem Geweihten, bloß weil er geweiht ist, kritiklos Vertrauen entgegen bringen, dann haben sie eben als Kinder und nicht als mündige Christen gehandelt.
Hier wird das Evangelium vom 30. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres C zur Mahnung:
In jener Zeit erzählte Jesus einigen, die von ihrer eigenen Gerechtigkeit überzeugt waren und die anderen verachteten, dieses Beispiel: Zwei Männer gingen zum Tempel hinauf, um zu beten; der eine war ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stellte sich hin und sprach leise dieses Gebet: Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin, die Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner dort. Ich faste zweimal in der Woche und gebe dem Tempel den zehnten Teil meines ganzen Einkommens. Der Zöllner aber blieb ganz hinten stehen und wagte nicht einmal, seine Augen zum Himmel zu erheben, sondern schlug sich an die Brust und betete: Gott, sei mir Sünder gnädig! Ich sage euch: Dieser kehrte als Gerechter nach Hause zurück, der andere nicht. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden. (Lukas 18,9-14)
Niemand ist von sich aus gerecht – nicht weil er Gesetze um der Gesetze willen hält, nicht weil er geweiht ist, nicht weil er es immer schon besser weiß. Wer auch immer in welcher Weise das Wort Gottes verkündet: Es sind die Taten, die die Botschaft glaubwürdig machen, nicht die Worte! Und das gilt nicht nur für Bischöfe, sondern auch für die, die die Bischöfe beraten und kritisieren. Nur wenn diese Einheit von Wort und Tat stimmt – und nur dann – dürfen die, die das Wort für und gegen wen und was auch immer führen, für sich das Wort aus der zweiten Lesung des 30. Sonntags im Jahreskreis des Lesejahres C in Anspruch nehmen:
Bei meiner ersten Verteidigung ist niemand für mich eingetreten; alle haben mich im Stich gelassen. Möge es ihnen nicht angerechnet werden. Aber der Herr stand mir zur Seite und gab mir Kraft, damit durch mich die Verkündigung vollendet wird und alle Heiden sie hören; und so wurde ich dem Rachen des Löwen entrissen. (2 Timotheus 4,16f)
Es wird Zeit, aus den ganzen Steinen, Splittern und Balken endlich tragfähige Brücken zu bauen.
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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